Hauptmenü
der I-Ging-»Befragung«
Gefühlsverstrickungen und deren Befreiung
Ein Mann mittleren Alters war eine Beziehung mit einer Frau eingegangen, wobei die Initiative eher von ihr als von ihm ausgegangen war. Nach einiger Zeit offenbarte sie ihm, daß sie noch zu einem anderen Mann eine Beziehung habe. Da er sehr in sie verliebt war und offenbar sie auch in ihn, ließ er die Beziehung sich weiterentwickeln, in der stillschweigenden Hoffnung einer Entscheidung ihrerseits. Diese Entscheidung blieb aus, indessen wurde ihm die Beziehung mehr und mehr zu einer zähflüssigen Wirrnis der Gefühle, wodurch sich in ihm eine gehemmte Wut entwickelte. Dabei schien ihm, sie wollte ihn auf keinen Fall verlieren, würde aber gleichzeitig die Beziehung nur mit halbem Herzen leben.
Das I Ging gab folgende »Anwort«:
Worum es ging, war gewiß eine Befreiung aus dieser beklemmenden Situation. Aber damit es zu einer Befreiung kommen konnte, mußte der Mann zuerst sich »der eigenen Person zuwenden«, eine zentrale Aussage zum Hemmnis:
Das Hemmnis geht der Befreiung voraus. Da die überaus sinnvolle Reihenfolge, in der die 64 Hexagramme angeordnet sind, so etwas wie eine natürliche Fortentwicklung zeigt, ist es auch sinnvoll, diese zu beachten. Zudem bildet das Hexagramm Hemmnis, dadurch dass es die Umkehrung um 180° der Befreiung ist, mit diesem ein »Paar«. Die »eigene Person« kann man im Berg unten, innen sehen, der gegen die äu?ere Gefahr mit dem Wasser oben standhalten soll. Das das Hemmnis über dem Berg Wasser zeigt, muss es da oben angestaut sein. Eine »angestaute« Situation war es in der Tat, die sich auch als eine angestaute Wut zeigte. Es war indessen nicht möglich, diese in einem Wutausbruch zu entladen, denn die Frau hatte ja lange voraus ihr Bekenntnis abgegeben. Entladen musste das Hemmnis auf eine andere Weise werden, damit das Wasser wie in einem Gewitterregen nach der dicken, schwülen Luft herunterkommen konnte, und so in eine Befreiung führen würde. Dies sollte durch ein »Vergeben« und »Verzeihen« geschehen, wie sich die »Bildworte« in der Befreiung ausdrücken, war dem Mann doch sehr daran gelegen, daß das Verhältnis in eine gute Freundschaft übergehen konnte. Dies geschah dann auch, und daraus konnten »dauerhafte« neue Verhältnisse geschaffen werden.
Aber ganz so einfach gestaltete sich diese »Befreiung« nicht, stellte sich ihm doch noch eine »Überschwemmung« durch seine Gefühle ein, bis er zur Überzeugung gelangte, daß ein wirklich inniges und dauerhaftes Verhältnis mit dieser Frau wohl nie hätte entstehen können. Diese »Überschwemmung« zeigt das Bild von des Großen Übergewicht, wozu es in den »Bildworten« heißt: »Der See geht über die Bäume hinweg: des Großen Übergewicht. So bleibt der Edle, auch wenn er alleine dasteht, ohne Furcht und zieht sich [wenn nötig], ohne zu murren, von der Welt zurück.« Dui, der See, das Heitere, oder, etwas konkreter gefaßt, die emotionalen Verstrickungen nach außen überströmen das innere, selbstbewußte Wachstum (unteres Trigramm Sun, der Wind oder Baum). Daß er Klarheit geschaffen, ihr »verziehen« und damit eine »fortdauernde« Freundschaft erreicht hatte, war gut und recht, aber die neue Situation, die kein Zurück mehr erlaubte, mußte er dann auch selbst vollständig annehmen.
Soll ich diesen Job annehmen?
Eine Frau, die ausgebildete Betriebswirtin ist, sah für sich eigentlich eine völlig andere »Berufung«. Deshalb bildete sie sich zusätzlich zur Heilpraktikerin aus. Da sie ihre Praxis nur nach und nach aufbauen kann, ist es vorläufig nicht möglich, daß sie sich finanziell voll darauf abstützen kann. Über längere Zeit hatte sie einen guten Job an einer Bank, doch wurde das Arbeitsklima allmählich so schlecht, daß sie kündigte. Darauf folgte eine wahre Odyssee der Stellensuche.
Wieder einmal trat eine Stelle als Sachbearbeiterin an sie heran: eine volle Stelle, die zudem mit einem langen Arbeitsweg verbunden war. Die Annahme dieser Stelle bedeutete, weitestgehend ihre Praxis zurückstecken. Das I Ging »antwortete« folgendermaßen:
Die heiratende Schwester zeigt etwas Neues an, auf das es gilt, aufmerksam zu horchen. Wörtlich heisst es die heiratende jüngere Schwester. Das ergibt das Bild, dass man vorläufig noch mit der »älteren Schwester verheiratet ist«. Die »jüngere Schwester« wird im Hexagramm mit dem unteren, inneren Trigramm, dem See dargestellt. Der See als ein emotioles Sich-Öffnen wird auch innerhalb einer »Trigramm-Familie« die »jüngste Tochter« genannt. »Wer heiratet, ist die heiratende jüngere Schwester«, heißt es im Kommentar zum »Urteil«. Damit deutet dieses Hexagramm auf einen Umbruch im Leben, der allmählich angesagt ist. Dass dieser Umbruch nun wirklich ansteht, wird noch dadurch betont, daß der unterste Strich ein wandelbarer ist, zu dem es heißt: »Voranschreiten bringt Heil.« Also, da entwickelt sich etwas, das nicht unbedingt den Erwartungen entspricht. Im ersten Wandlungs-Hexagramm heißt es schließlich, sich von etwas zu befreien, und die Befreiung bezieht sich stets auf etwas, das nicht oder nicht mehr taugt. Im weiteren weist auch der fünfte, ebenfalls wandelbare Strich der heiratenden Schwester auf die allmähliche Absage an etwas Altes. Dazu heißt es: »Die Kleider der Fürstin sind nicht so gut wie die Kleider der Nebenfrau.« Irgendwann soll diese Fürstin ihre Stellung der »Nebenfrau« frei geben.
Nun verweist die zweite und letzte Wandlung auf einen schwierigen Prozeß. Zur Bedrängnis steht in den Bildworten: »So stellt sich der Edle dem Geschick, um seinem Willen zu folgen.« Es geht, wie es in einer zusätzlichen Einordnung des Hexagramms heißt, um eine Prüfung der inneren Kraft.
In erster Linie aus dem Grund, daß diese Stelle einen Rückschritt für ihre Heilpraxis bedeutete, nahm die Frau sie nicht an. Darin zeigte sich die »Befreiung«.
»Die Prüfung der inneren Kraft« ließ nicht lange auf sich warten. Zwei Tage nach ihrer Absage erlitt ihre Mutter zusammen mit der Tante einen schweren Autounfall! Damit hatte sie wahrhaft genug zu tun.
Ein weiteres praktisches Beispiel ist am Ende des Artikels Was ist das I Ging? Was kann das I Ging?